Der Horizont

Meines Erachtens ist jeder Augenblick ein pädagogischer: im Leben lerne ich in jedem Moment ein bisschen mehr, wie dieses für mich funktioniert und wie es das nicht tut. Ich treffe zunehmend eigenverantwortlicher Entscheidungen, um zu sein – im Idealfall glücklich und gesund. 


Das bedeutet für mich als Begleitende, Vorbildende und Erziehende, dass ich eine entsprechend entscheidende Verantwortung für meine Mitmenschen übernehme, die sich mit meiner Hilfe entwickeln, fähigen und schlussendlich eigenverantwortlich handeln lernen möchten – und sollten! Das ist ein Auftrag, den ich von Herzen und mit Freuden annehme.


Die Er ZIEH ung, die Beg LEIT ung, die Unter STÜTZ ung sind eine Herausforderung: Lernen, Wachsen und Reifen als ganzheitlicher Prozess ist schließlich endlos. Habe ich eine Aufgabe gemeistert, wartet längst die nächste auf mich. Ich stoße immer wieder auf Werte. Neue Perspektiven können mich dabei befürworten, mir aber auch widersprechen. Zeit und Raum beeinflussen jeden Prozess. Mein Körper, mein Geist und meine Seele sind konstant konfrontiert mit Faktoren im Außen wie im Innen. Um mich stetig zu entwickeln, wachse auch ich mit jeder neuen wie gewohnten Konfrontation, begegne mit Interesse, Verständnis und einer sich fortlaufend reifenden persönlichen Haltung. 


Im Folgenden werde ich auf drei pädagogische Ansätze eingehen, die mich bisher besonders inspiriert haben: Meine pädagogischen Säulen setzen sich zusammen aus den Individualpsychologien Alfred Adlers und Maria Montessoris, sowie der Naturpädagogik. Abschließend ergibt sich aus diesem pädagogischen Hintergrund mein persönliches Bild vom Kind, dessen Ziehung, Leitung und Stützung ich in der Praxis meiner Kindertagespflegestelle anstrebe.

Alfred Adler


Der Individualpsychologe Alfred Adler vertritt den Standpunkt, dass die Güte und die Liebe das Kind wachsen lassen. Wohlwollen, Bejahung, Freundschaft, Ermutigung sowie Vermittlung von Einsicht und Erkenntnis sind heilende Faktoren von der die Entwicklung zum Guten erwartet wird. 


Die Ermutigung ist das Grundprinzip Adlers individualpsychologischer Erziehung.


Es geht darum, sich für das Selbstvertrauen und für den Mut des Kindes einzusetzen. Beides fördert uns als Mitspieler in einer Gemeinschaft. Denn im Zentrum der psychologischen teils philosophischen Ansätze steht das verbindende Gemeinschaftsgefühl. Unsere soziale Ausrichtung, die soziale Ausrichtung des Kindes, ist das angewiesen Sein auf die Zuwendung und Beachtung in einer Gemeinschaft. 


Dabei ist die Gleichwertigkeit von großer Bedeutung. Das setzt voraus, dass das Kind ebenso respektiert, wie es respektiert wird. Eine aufrichtige Wertschätzung füreinander ist der Schlüssel zu Gleichheit, Gleichwertigkeit und Gerechtigkeit. Sie gibt uns die Sicherheit, Teil der Gemeinschaft zu sein.


Das Selbstwertgefühl im Handeln streben das Kind wie der Erwachsene an. Nichts ist dabei so erfolgreich wie Erfolg. Erzielen wir im Rahmen unseres Interesses Erfolge, werden wir eben dadurch angespornt, uns auch mit weiteren Dingen zu beschäftigen. Der Erfolg ist schließlich das Sprungbrett, von dem aus wir zu umfassenderem Wissen gelangen.


Doch wie erhalten wir unser Selbstwertgefühl aufrecht? Die genaue Zielverfolgung, die Zusammenhänge und Ursachen jeder Handlung zu kennen, sind wichtig! Die Individualpsychologie hilft dabei, sich einzufühlen, einen individuellen „Lebensstil“ zu verstehen und auf dieser Grundlage zu helfen. 


Ich beobachte das Kind bei seiner Zielsetzung, lindere Unsicherheit und biete unter Umständen Unterstützung an. Gleichzeitig ermutige ich dazu, auch Fehler zu machen, und wirke so automatisch überhöhten Zielsetzungen entgegen. Angemessene Ansprüche und realistische Ziele verhelfen meinem Schützling zu einem ausgeglicheneren Leben und kräftigen ihn somit auch für jede Herausforderung.



“Das Selbstvertrauen des Kindes

– sein persönlicher Mut –
ist sein grösstes Glück.”

Alfred Adler



Maria Montessori


Maria Montessori vertritt den Ansatz, dass das Kind in seiner Welt (ganz unbewusst) danach strebt, sich vom Erwachsenen loszulösen. Es will sich selbsttätig zur freien Persönlichkeit entwickeln. Von Geburt an ist der Säugling dafür in der Lage, mittels individuellem Ausdruck seinen Willen zu äußern. Öffnet man sich der Willensäußerung eines Kindes, kommt es zu einer ersten Übereinstimmung, die den Kontakt und eine freie Entfaltung ermöglicht.


Die Aufgabe lautet, 

  • das Kind in seinen Intentionen zu verstehen, 
  • es bei seiner spontanen Aktivität zu achten, 
  • seine Rechte zu respektieren 
  • und es selbst entscheiden und lernen zu lassen. 


Diese Methode bedarf fortlaufender Übung. Räumlich zur Verfügung gestellte Materialien und ihre Anwendung spielen in diesem Zusammenhang ebenfalls eine große Rolle. Montessori, als Vorbild fungierende Person, möchte dabei lernen, als Lehrender auch zurückzutreten. 


Meine abgeleiteten Vorsätze sind: 

  • Aufmerksamkeit zu schenken, 
  • das Tun wert zu schätzen,
  • das Kind als Mitmenschen anzunehmen
  • und ihm die eigenen, selbst gewählten Aufgaben unbedingt anzuvertrauen.


Auf diese Weise wirken wir für- und miteinander – innerhalb eines Niveaus auf Augenhöhe. Ich nehme mein RaupenRudel liebevoll wahr und ermutige es heiter zur Tätigkeit. Die Kinder gewinnen Selbstwert und Selbstvertrauen, weil sie spüren, dass auch ich sie wertschätze und ihnen vertraue.

“Da das Kind nicht nur den Impuls hat
zu handeln,
sondern auch sich zu vervollkommnen,
vertrauen wir [ihm] die folgerichtige Vervollkommnung seiner Handlungen an.”

Maria Montessori

Die Naturpädagogik


Die Bewegung an der frischen Luft stärkt nachweislich das körperliche, geistige und seelische Wohl: 


  • Frischer Sauerstoff fördert die Gesundheit des Immunsystems. 
  • Natürlicher Raum und Ruhe stützen emotionale Stabilität, Konzentrationsfähigkeit und Ausgeglichenheit.
  • Unsere Elemente, allein in Form von Sonnenschein und Regen, Wind und Schnee, Hagel und Matsch bereichern zusammen mit jedem Regenbogen und nicht zuletzt jeder lebendigen Begegnung die Persönlichkeitsentwicklung enorm.


Die Lehransätze der Natur möchten die Liebe und die Freude an den Geheimnissen der Umwelt wecken. Die Sinne nehmen den eigenen Körper im Freien nämlich ganz anders wahr: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen werden entsprechend der Vielfalt der natürlichen Umgebung endlos differenziert angesprochen. Wird eine Beziehung zwischen Mensch und Natur gefestigt, kann die Natur sogar als Erholungs- und Verwirklichungsraum verstanden werden. Das ganzheitliche Sein des Kindes wird angeregt und gefördert. Es lernt vorwiegend über das eigene Tun, Erproben, Untersuchen, Experimentieren, Erfinden und Erleben. Kinder lernen selbstbestimmtes Handeln.


Die Natur bietet zusammen mit einer Fülle an Naturmaterial eine große Vielfalt an Bewegungsanlässen und -möglichkeiten. Eine ausgeprägte Grobmotorik ist dabei die Basis für eine funktionierende Feinmotorik. Die Herausforderung ist, den gesamten Körper gezielt zu bewegen. Die Bewegung bedarf die geduldige wie feine Koordination von Muskeln und Gelenken bis hin zu jedem Finger und jedem Zeh. Das Laufen über Stock und Stein braucht Vorsicht; das Anfassen von Rinden, Blüten und Kleintieren benötigt Geschick. Jede Erfahrung stärkt die eigene Sicherheit und das Selbstbewusstsein. Jedes Erlebnis, das Grenzen aufzeigt, hilft dabei, sich zu verstehen, anzunehmen, und vielleicht sogar über sich hinaus zu wachsen. 


Mein Schluss daraus ist: Eine positive Grundhaltung des Vorbilds ist die Voraussetzung für eine gelingende Partizipation. Jede Raupe ist ein Mitmensch im Rudel und wird auf Augenhöhe behandelt: mit Gefühlen, die ich wahr nehme, Ideen, die ich ernst nehme und Entscheidungen, die ich er MUT ige.


Um eine bewusste und achtsame Grundhaltung zu stärken, teilen wir Wissen über die heimische Tier- und Pflanzenwelt und betrachten ökologische Zusammenhänge. Das Rudel sammelt Erfahrungen, um einen respektvollen und nachhaltigen Umgang aufzubauen. Im direkten Kontakt zur Natur üben wir uns automatisch in Umsichtigkeit und Rücksicht mit ihr. Die Selbstwahrnehmung ist dabei von Bedeutung: Das Begreifen des eigenen Ichs als Teil des Lebens wecken Gefühle der Liebe und Verantwortung.

“Die Natur kann von keinem belehrt werden.

Sie weiß immer das Richtige.”

Hippokrates

Der Schmetterlingsbaum


Der Sohn meines Mannes schrieb einmal auf unsere Wand “Das Leben lehrt das Leben lernen”. Dieser Satz fasst großartig zusammen, dass der Prozess eines Lebens niemals abgeschlossen sein kann. Das finde ich für das Bild des Kindes deshalb wichtig, weil dadurch der Gesamteindruck voller wird: Das Kind mag im Moment ein Kind sein, doch wird es stetig weiter wachsen und sich entwickeln, wie auch sein Bild es tut und sollte. 


Kinder sind wie du und ich. Sie sehen diese sich fortlaufend bewegende Welt zu jedem Zeitpunkt zum ersten Mal. Der Unterschied ist, dass der eigene Erfahrungsschatz noch sehr frisch ist und dringend und mit vollster Begeisterung aufgefüllt werden will. Anhand dem Schmetterlingsbaum beschreibe ich nun,
was ich im Kind sehe, um auf dieser Basis meine Förderung und Forderung in der Praxis zu erläutern.


– Mein Bild vom Kind & Das Konzept in der Praxis


Das Kind ist so bedeutend! Es mag noch nicht über dieselben Freiheiten eines anderen verfügen und natürlich braucht es in vielen Dingen erst einmal Hilfe, aber es lernt und es ist neugierig und begeistert dies zu tun. Es will kennen und mitmachen, es will beitragen und mithelfen. Es ist meist liebevoll und dankbar in seiner Begeisterung und dafür wünscht es sich lediglich Gemeinschaft und Gleichberechtigung. Vieles will es alleine, viel mehr will es zusammen machen und gezeigt bekommen. 


Ich möchte ein Vorbild sein, das dem Kind dabei hilft, die Umwelt zu verstehen und eine gesunde und glückliche Haltung einzunehmen. Was bedarf es denn, um sich dem Leben zu stellen? Ich meine, dass ein Umfeld aus Liebe und Geduld, Sicherheit und Vertrauen, Aufmerksamkeit und Respekt, Wahrheit und Gerechtigkeit zu einer starken Persönlichkeitsentwicklung verhilft.


Nun lautet die Frage: Wer ist diese “Persönlichkeit”, dieser eine Mensch, der sich da entwickelt? Denn, jede Raupe im Rudel ist bedeutend!


Die grundlegenden Wurzeln bilden meines Erachtens die Seele, der Geist und der Körper. Alle drei Parteien sind eng miteinander verknüpft; die eine kann stets für die andere sprechen, Achtsamkeit gegenüber jeder und schlussendlich das Bewusstsein für die jeweiligen Bedürfnisse sind entscheidend. Das macht jedes Kind einzigartig! Es gilt: die eigenen Gefühle fühlen zu lernen und entsprechend zu kommunizieren, Gedanken zu entfalten und durch neue Interessen stets weiter zu verknüpfen, den Ausgleich jedes physischen Körperteils in Form von Ernährung, Bewegung und Reinigung anzustreben und zu genießen.


Die Bedürfnisse des Kindes sind unglaublich vielseitig und individuell. Ich stütze diese Bedürfnisse. Dafür kommunizieren wir miteinander, wobei ich jede aktive wie passive Äußerung direkt erkenne. Der Alltag bietet sowohl im gemütlichen Spielhäuschen wie auch in der anliegenden Natur ausreichend seelische, geistige wie körperliche Lernanlässe. Erfahrung wird gefördert und gefordert: der Umgang mit sich selbst oder der Gemeinschaft, Tier- und Pflanzen-Wissen, Spaziergänge zusammen mit Kinder-Yoga und andere ganzheitlich ansprechende Beschäftigungen im Alltag stützen die Praxis in Fanni’s RaupenRudel.


Als stabilisierenden Stamm stelle ich mir unsere menschliche Existenz auf Basis der Herkunft, individueller Rituale und persönlicher Gewohnheiten vor. Kurz gesagt, ist es das, was wir kennen, und gleichzeitig das, was uns bislang noch fremd ist. Um ein Gemeinschaftsgefühl zu erzielen, ist jeder zusammen mit seiner Vorerfahrung aus Gegebenheiten und Eindrücken wichtig. Die Gleichberechtigung und entsprechende Rücksicht fördern das Gleichgewicht im Miteinander.


Das offene Sprechen über Gleiches und Unterschiedliches, das wertfreie Vergleichen und Interessieren, und schlussendlich die Kommunikation auf jeder Ebene helfen uns beim Kennenlernen, Akzeptieren und Wertzuschätzen. Verschiedene Rituale, die uns nur in der Tagespflege betreffen – ein Lied, zu dem wir uns die Hände waschen – oder auch zu Hause begleiten, sind Teil unseres Rudelalltags. Anlässe zu feiern, wie Geburtstage, Jahreszeiten oder Dankestage, werden geteilt. Dabei können Speisen, Raum und Spielzeug gesellschaftlich angepasst sein oder auch nicht. Wie die Fanni hat auch das Rudel stets die Chance sich dieser Welt zu öffnen und sie – zusammen mit sich selbst! – lieben zu lernen.


Unser Praxisbaum hat nun bereits Wurzeln und einen Stamm. Das, was wir sind, verknüpft mit dem, was uns in jedem Moment begegnet, lassen schließlich die Äste der Sprache und des Verständnisses wachsen. Die eigene individuelle Wahrnehmung der Umwelt und die subjektive Ästhetik in dem, was sie zu bieten hat, ist aufgrund ihrer Vielschichtig- wie -seitigkeit grenzenlos. 


In Fanni’s RaupenRudel ist die deutsche Sprache die Muttersprache für die Kommunikation. Da die Sprachentwicklung gerade in jungen Jahren aufnahmefähig und interessiert ist, integriere ich auch Englisch als internationale Sprache auf eine Weise in den Alltag. Mittels Liedern, Gedichten und Geschichten werden wir uns konstant in unserer Kommunikation wachsend in Wort, Laut, Mimik und Gestik und einem zunehmend ganzheitlicheren Verständnis für uns und unsere Umwelt üben.


Jedes Blatt an den Ästen des Entwicklungsbaumes steht nunmehr für ein praktisches Erlebnis oder einen theoretischen Wissenseintrag, das das alltägliche Leben für uns bereithält.


Fanni’s RaupenRudel darf in einer Vertrauen erweckenden Atmosphäre lernen und wachsen! Jedes Kind erhält auf diese Weise die Möglichkeit, sich in eine Umgebung einzufühlen, die sich an seinen Bedürfnissen orientiert. Über den Umgang mit Sinneseindrücken, Materialien sowie über das Interesse an und die Kooperation mit anderen Lebenden werden Fähigkeiten erworben. Jede Erkenntnis im Rahmen des Erlebnisortes aus KiTa-Häuschen und Großgrünfläche kommt Seele, Geist und Körper zugute.


Nun kann unsere Gesundheit zusammen mit unserer Lebensfreude aufblühen, die uns die Begeisterung für das Lernen und den Mut zu jeder kognitiven wie motorischen Fähigkeit verleiht.


Beständige Ermutigung, auch des Fehlers als Positiverlebnis, schätzt die eigene Person wert – mich als Erziehende, Begleitende und Unterstützende ebenso wie meine Schützlinge. Durch eine aufrechte Selbstwahrnehmung und ein ehrliches Selbstbewusstsein kann ich stolz auf eigene Leistungen sein, eigene Gefühle und Bedürfnisse erkennen, Grenzen, Potenziale, Stärken und Schwächen und Verhaltensmuster wahrnehmen und ein entsprechend positives Vorbild für jeden Mitmenschen anbieten.


Der Baum stützt seine wachsende Krone; so schützt die Krone den Wuchs als Ganzes. Die Raupe stützt das Leben des Schmetterlings; so trägt der Schmetterling den Schatz in sich. Schön ist, dass jeder einzelne von uns subjektiv fühlt und lebt und immer wieder aufs Neue selbst entscheidet, wie er weiter wächst.


Ich entscheide: Ich werde die Lernprozesse meiner neugierigsten Mitmenschen liebevoll begleiten, persönliche Stärken fördern, Begeisterung für jedes Gefühl und die Bereicherung daraus fordern und mich voller Vertrauen auf ehrliche Freundschaften einlassen.


Entdecken, spielen, lachen, Bilder
sehen und fantasieren, Geschichten hören und erleben, Natur fühlen und frische Luft atmen, den Körper bewegen, hüpfen, tanzen, Purzelbäume machen und so vieles mehr.


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